Der Codex Gisle

Das goldene Graduale der Gisela von Kerssenbrock

Der Codex Gisle ist für eine Musikhandschrift ungewöhnlich reich ausgestattet. Erleben Sie seine verschwenderische Pracht! 53 große historisierte und mehr als 200 kleinere Initialen, strahlend poliertes Gold, Ziermedaillons, Goldschrift und farbiger Notenschmuck.

„Der Codex Gisle ist ein herausragendes Zeugnis deutscher Buchmalerei der Gotik und in unserem Raum geradezu einzigartig. Er führt uns höchste Ansprüche klösterlichen Gesanges durch seine kostbaren Initialen anschaulich vor Augen […]. Die Faksimilierung durch den Quaternio Verlag Luzern hebt diesen Schatz und stellt ihn in die erste Reihe europäischer Kunstwerke.“ (Hermann Queckenstedt, Direktor des Diözesanmuseums Osnabrück)

Icon Stimmen aus Presse und Wissenschaft

Codex Gisle

Der Codex Gisle: Die Handschrift

Codex Gisle, p. 25

Meisterwerk norddeutscher Gotik

Der Codex Gisle ist die schönste niedersächsisch-westfälische Handschrift aus der Zeit zwischen 1250 und 1400. Ihre außerordentliche Qualität beruht auf dem Reichtum und der Eleganz der zu wahren Miniaturen ausgestalteten Initialen. Immer wieder überrascht dabei auch die Ungewöhnlichkeit einzelner Motive, wie die Darreichung des Jesuskindes durch Josef in der Weihnachtsinitiale. Großzügig ist strahlend poliertes Gold als Hintergrund und für die Schriftauszeichnung verwendet worden. Einzigartig für ein gotisches Graduale dürfte die hohe Anzahl an Bild-Initialen sein. Durch die wunderbaren Illustrationen zum Weihnachts- und Osterfestkreis kann das Auge gleichsam miterleben, was der Mund im Gesang vollzieht.

Gesungenes Gotteslob

Mit rund 1500 gregorianischen Gesängen, die im Codex Gisle wiedergegeben werden, übertrifft das Repertoire das in anderen Gradualen der Zeit übliche Maß um mehr als das Doppelte. In einem Graduale waren alle Gesänge der täglich zu feiernden Messe im Ablauf des Kirchenjahres enthalten, die nicht vom Priester ausgeführt wurden. Das gesungene Wort Gottes war ein wesentlicher Bestandteil der Liturgie und daher ein zentrales Element im Gottesdienst der geistlichen Gemeinschaften. Im Kloster Rulle bei Osnabrück wird die Vorsängerin das goldene Graduale während der Messe ehrfürchtig auf den Ambo gelegt haben, um dann die jeweils passenden Gesänge anzustimmen und den Chor ihrer Mitschwestern zu leiten.

Gisela von Kerssenbrock

Aus der frühen Zeit der Buchmalerei sind höchst selten Künstlernamen überliefert. Anders im Codex Gisle: Zweimal wird hier die Nonne „Gisle“ dargestellt. Bei ihr handelt sich um Gisela von Kerssenbrock († um 1300), die Vorsängerin des zisterziensisch geprägten Frauenklosters Rulle. Als Cantrix war sie für den Chorgesang und das Buchwesen der Gemeinschaft verantwortlich. Ihr entscheidender Anteil an der Herstellung des prächtigen Graduales bestand mutmaßlich darin, dass sie die notwendigen Mittel aus ihrem Familienbesitz stiftete, die Vorlage beschaffte, an der Konzeption des Bildprogramms mitwirkte, die Entscheidung über die mit den Zierinitialen zu beauftragende Buchmaler-Werkstatt traf und das eigene Skriptorium instruierte.

Codex Gisle, Darstellung der Gisela von Kerssenbrock auf p. 139

Codex Gisle

Unter der Lupe: Miniaturengleiche Zierbuchstaben

Codex Gisle, p. 139
In dem um 1300 geschaffenen Codex Gisle bleibt der Bildschmuck im Wesentlichen den Initialen vorbehalten. Mit allein 53 historisierten Initialen übertrifft die prachtvolle Handschrift jedoch die sonst übliche Ausstattung eines Graduales der Zeit mit 15 bis 20 Initialen bei weitem. Passend zu den Sonn- und Festtagen werden hier die wichtigsten Stationen aus dem Leben und Leiden Jesu illustriert. In ihrer Unbefangenheit wirken die Bilder zugleich als ein authentischer Ausdruck tief empfundenen Glaubens. Einige der Zierbuchstaben zu den Hochfesten erstrecken sich fast über die gesamte Seite. Hierarchisch absteigend gibt es daneben noch fünf-, vier-, drei- und zweizeilige Initialen und unzählige ornamental verzierte Anfangsbuchstaben. Buchstabengröße und Reichtum des Dekors verraten die Bedeutung eines Gesangs.
Dementsprechend markiert der übergroße Reichtum des Buchschmucks den eigentlichen Höhepunkt des Codex Gisle: die Messe des Ostersonntags. Diese beginnt auf einer äußerst prachtvoll gestalteten Zierseite (p. 139 / fol. 70r) mit dem Einzugsgesang „Resurrexi“ (Erstanden bin ich). Die von zehn Medaillons, goldener Majuskelschrift und abwechselnd roten und blauen Noten umgebene, fast seitengroße Initiale R birgt auf geschwungenem Goldgrund in ihren Binnenfeldern die Höllenfahrt Christi und die Auferstehung. Der mit Wundmalen, Mantel und Siegesbanner ausgezeichnete Christus überwindet unten die Pforten der Vorhölle und dann oben sein Grab. Dort kniet links neben dem Sarkophag die Jungfrau Maria, ebenso die Nonne Gisle außerhalb der Initiale auf dem Blatt eines Rankenausläufers.

Codex Gisle

Der Codex Gisle: Die Edition

Codex Gisle, Faksimile-Edition, Band stehend und aufgeschlagen

Handschrift und Faksimile im Überblick

Der Codex Gisle bietet im Original wie in der Faksimile-Edition ein wahres Feuerwerk an Gold und Farben.

Handschrift: Osnabrück, Diözesanarchiv, Ma 101
Entstehungszeit: ca. 1300
Entstehungsort: Kloster Rulle, Osnabrück
Format: ca. 35,5 x 26,0 cm
Umfang: 344 Seiten (172 Blatt)
Künstler: professionelle Buchmaler-Werkstatt in der Bischofsstadt Osnabrück, Gisela von Kerssenbrock
Auftraggeber: Gisela von Kerssenbrock
Ausstattung: 53 historisierte Initialen, 201 Goldinitialen auf farbigem Grund, 15 blau-goldene Initialen auf rotem Fleuronnée, Ziermedaillons, Rankenwerk, farbiger Notenschmuck
Einband: hellbrauner Ledereinband mit ganzflächiger Blindprägung und Eckbeschlägen und Schließen aus Messing (Original aus dem 16. Jahrhundert)
Kommentarband in 2 Bänden mit CD (mit neun Gesängen aus dem Codex Gisle, aufgenommen von der Frauenschola des Osnabrücker Jugendchors) von Harald Wolter-von dem Knesebeck / Beate Braun-Niehr / Hermann Queckenstedt / Fabian Kolb → Inhalt, Bd. 1 und → Inhalt, Bd. 2
Druckauflage: 480 Exemplare

Codex Gisle, p. 25

Musik aus dem Codex Gisle

Eigens für die Faksimile-Edition wurden am 28. November 2014 in der Herz-Jesu-Kirche Osnabrück insgesamt neun Gesänge aus dem Codex Gisle von der Frauenschola des Osnabrücker Jugendchors aufgenommen. Lassen Sie sich verzaubern von den gregorianischen Klängen aus diesem goldglänzenden Graduale (Hörbeispiel: Introitus zu Weihnachten „Puer natus est nobis“)!

Codex Gisle

10 Seiten zum Blättern:

Ein Blick in die faksimilierte Handschrift

Der hier präsentierte Ausschnitt aus dem Codex Gisle umfasst die Seiten 136 bis 145.
Diese gehören zum Osterteil und beinhalten die Gesänge, die während der Besprengung mit Weihwasser bei der Messe am Ostersonntag, am Ostermontag und am Osterdienstag gesungen wurden. Die Bedeutung der einzelnen Gesänge spiegelt sich dabei in der Hierarchie der Initialen wider, die von goldenen Buchstaben mit Fleuronnée oder farbigem Grund über unterschiedlich große historisierte Initialen bis hinauf zur prachtvoll gestalteten Zierseite reicht. Auf jeder Seite sind 10 bis 12 Liniensysteme eingezeichnet, die für die Musiknotation mit den zugehörigen Textzeilen gebraucht werden.

Codex Gisle

Herausforderungen bei der Herstellung: fac simile

Codex Gisle, Vergleich von Andruck und Original

Mit geschultem Blick

Nachdem der Codex Gisle im Diözesanarchiv Osnabrück digital aufgenommen worden ist, analysieren der Photograph und der Lithograph vor Ort die erfassten Bilddaten. Der Lithograph bereitet später am Computer die Farb- und Goldauszüge für den Andruck vor. Nach dem Andruck aller Seiten werden diese wiederum vor Ort mit der Handschrift verglichen. Dabei gilt es kleinste Farbabweichungen auszumachen und zu korrigieren – eine minutiöse Arbeit, die ein geschultes Auge erfordert und große Erfahrung voraussetzt. Viele Korrekturdurchgänge sind vonnöten, bis die gewünschte Übereinstimmung mit dem Original erreicht ist und die limitierte Auflage gedruckt werden kann.

Handwerk vom Feinsten

Für den Faksimile-Einband des Codex Gisle sucht der Buchbinder farblich passende Lederfelle aus und schärft diese so dünn aus, dass er sie gut über die massiven Holzdeckel ziehen kann. Die Kanten der Deckel sind vorher abgeschrägt worden. Für die Blindprägung der Lederdecke müssen jeweils eigene Prägeklischees für den Vorder- und den Rückdeckel angefertigt werden. Damit die neun Bünde am Rücken gleichmäßig hervortreten, wird jedes Faksimile-Exemplar für rund 24 Stunden in die Klotzpresse eingespannt. Mit der Filete prägt der Buchbinder später die Zierlinien am Buchrücken. Am Schluss nagelt er die Eckbeschläge auf und bringt die beiden Buchschließen am Codex an.

Codex Gisle, Buchbinderarbeit, Prägung der Linien auf dem Rücken mit der Filete
Codex Gisle, Buchbinderarbeit, Montage der Schließen

Codex Gisle

Die Faksimilemappe zur Edition

Codex Gisle, Faksimilemappe zur Edition
Damit Sie sich selbst einen Eindruck von der hohen Qualität der Faksimile-Edition machen können, hat der Quaternio Verlag Luzern eine hochwertige Faksimilemappe zum Codex Gisle für Sie aufgelegt. Die Mappe enthält zwei Original-Faksimileblätter mit zwei historisierten Initialen auf Goldgrund: Maria und Josef, die auf dem Weg von Nazareth nach Bethlehem sind (p. 17), und Christus, der die Auserwählten ins Paradies führt (p. 142). Ausführliche Legenden erläutern die Gesänge und entschlüsseln den Reichtum der Initialen. Ein 12-seitiges Textheft bietet Informationen zur Geschichte und Ausstattung des goldglänzenden Graduales. Gisela von Kerssenbrock wird als Künstlerin, Stifterin und Cantrix ihres Konvents vorgestellt. Ein eigener Abschnitt ist der Musik und der meditativen Kraft der Bilder gewidmet.

Codex Gisle

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